Wurde von vor fast 20 Jahren geschrieben: 2004, Gerhard Matzig, es läuft spitze…

Süddeutsche Zeitung vom 05.01.2004 (Auszug)

„Es läuft spitze“, frohlockte jüngst der Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels. Die Konsumstimmung habe sich aufgehellt. Der Handel hoffe nun, dass dies in einen anhaltenden Trend münde und die Steuersenkungen im Jahr 2004 zu einem Umsatzplus führen. Zusätzlich wird der Kunde, heißt es, in den kommenden Tagen noch einmal mit drastisch gesenkten Preisen gelockt. Man rechnet demnach nicht mit dem allseits erhofften Ende der „Rabattschlachten“ des letzten Jahres – sondern, im Gegenteil, mit einem schier endlosen Krieg um Prozente, Prozente, Prozente.

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„Es läuft spitze“, frohlockte jüngst der Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels. Die Konsumstimmung habe sich aufgehellt. Der Handel hoffe nun, dass dies in einen anhaltenden Trend münde und die Steuersenkungen im Jahr 2004 zu einem Umsatzplus führen. Zusätzlich wird der Kunde, heißt es, in den kommenden Tagen noch einmal mit drastisch gesenkten Preisen gelockt. Man rechnet demnach nicht mit dem allseits erhofften Ende der „Rabattschlachten“ des letzten Jahres – sondern, im Gegenteil, mit einem schier endlosen Krieg um Prozente, Prozente, Prozente. Die Welt des Konsums ist ein Strich, flankiert oben und unten von zwei winzigen Kügelchen. Unter dem Banner des % -Zeichens und dessen Assoziationen „Preisnachlass“, „günstiger“, „billiger“, unter diesem Banner hat sich Deutschland wie auf einem ins Riesenhafte aufgeblähten Bazar versammelt.

Die GfK, Gesellschaft für Konsumforschung, weiß: „Der deutsche Verbraucher ist besonders auf den Preis fixiert. In Deutschland gibt es mehr als die Hälfte aller DiscountMärkte in Europa. Die Deutschen sind die Schnäppchenjäger schlechthin.“ Das sieht man dem Land besonders dieser Tage auch an. Der Jäger der verlorenen Schnäppchen stürmt also einmal mehr mit seinen weihnachtlichen Geldgutscheinen die Innenstädte. Sicher ist man nirgendwo vor dem „radikalen Preissturz“, vor den „sensationellen SuperPreisen“ oder vor der absurden „Mutter aller Schnäppchen“. Oder vor jenem gesellschaftlichen Offenbarungseid, wonach Geiz geil sein soll. Den Null-EuroVerlockungen und den „Geld-oben-drauf“-Anbiederungen entkommt man nicht. Zeitschriften wie Geldidee boomen. Radio und Fernsehen bauen ihre bisherigen ehrenwerten Ratgeber-Formate zum dümmlichen Schnäppchen-Talk um. Auch das „Große Buch von Geiz“ gibt es mittlerweile. Demnach sei Geiz dramatisch unterbewertet. Tatsächlich zeichne sich der Geizige durch „Organisationstalent“ und „taktischen Spürsinn“ aus. Geiz, so die billige Schlussfolgerung, sei die „neue gesellschaftliche Leittugend“.

Ist sie das? Selbstverständlich bietet sich auch das Internet als schamfreier Raum an – als Ideal-Revier für die Schnäppchenjagd: „Klick me – schon gespart!“ Auf dem Forum von Internetseiten namens „Geizkragen.de“ oder im Chat von „Billig-Schnäppchen.de“ kursieren beispieslweise Tipps, wie man zu einem kostenlosen Probeheft der Zeitschrift Hunderevue kommt. Oder zu einem „Gratis-Kühlschrankmagneten“. Oder sogar zu einer „Dokumentenmappe in Leder“. Der Chat-Teilnehmer räumt bezüglich des belederten Dokumenten-Schnäppchens ein, dass man an dieses Präsent nur mit Gewerbeschein komme. „Aber betreiben wir nicht alle irgeneine Art von Gewerbe? Lasst euch was einfallen….“

Der laute Stolz auf das Wissen zum Schnäppchen paart sich mit dem stilllen Wissen um die gebotene Trickserei und Lüge in denkwürdiger Weise. Deutschland betreibt das Gewerbe der Billigkeit.: Noch nie, den düsteren Zeiten zu Trotz und Hohn, gab es insgesamt so viel Wohlstand in Deutschland – die Sparbücher wissen davon -; doch noch nie war dessen aggressiv beworbene Niedrigkeit gleichfalls so offenbar.

Der Schnäppchenjäger als Massenphänomen ist die gesellschaftlich akzeptierte, letztmögliche Schwundstufe, die sich aus dem Abstieg von der Sparsamkeit über den Geiz zu jenem Paradoxon ergibt, in dem sich eigentlich Verschwendungssucht und krankhaftes, psychisch auffälliges Nicht-Hergeben-Wollen begegnen. Der ideale Schnäppchenjäger – der sich unterscheidet vom Sparsamen und sogar von Geizigen – will ja eigentlich alles, und zwar möglichst umsonst. Wobei sich die Frage, ob er denn all dies auch brauche, fasst schon nicht mehr stellt. Das Leben der Schnäppchenjäger kann man sich als eine Art geschenkten Gaul vorstellen, dem man nun mal nicht ins Maul schauen will. Zu Recht: Dort könnte Fäulnis herrschen. Im Schnäppchenjäger offenbart sich keine Leittugend, sondern versammeln sich lediglich die Charakteristika des Geizes, der Habsucht und des gerade in seiner Ausgefeiltheit bedenkenlosen Prassens auf eine eigentümlich hässliche Weise.

Das Schnappen entspricht als Massenhysterie nicht der ökonomischen und ökologischen Vernunft (der Sparsamen),nicht der einsamen Psycho-Pathologie (der Geizigen), auch
nicht der schieren Notwendigkeit zu wirtschaftlicher Überlegung (der Armen) – sondern nur einem banal-traurigen und zugleich eifrigen Habenwollen. Nicht auf die Souveränität der Konsumenten zielen also die Hoffnungen des dezenten Aufschwungs dieser Tage, sondern auf eine Art geizverschwenderischen Irrsinn. Tatsächlich: Es geht nun nicht mehr billiger. Tage und Wochen bringen Schnäppchenjäger damit zu, eine Krankenversicherung zu erjagen, die womöglich fünf Euro billiger ist: Welche Verschwendung jener Ressource Zeit, in der man auch produktiv sein könnte. Von der Qualität jener Produkte, die einen Euro kosten, aber alles können sollen, kann man nur schweigen: Ihre Lebenserwartung dürfte zu Lasten der Ressource Umwelt gehen. Vom Schaden an der Volkswirtschaft gar nicht zu reden. Was also macht den Schnäppchenjäger so glücklich? Es ist der Irrtum, in welchem er sich als Jäger fühlen darf – obwohl er nur die Beute ist.

*Gerhard Matzig, geboren 1963 in Deggendorf • Studium der Jurisprudenz, der Politischen Wissenschaften und der Architektur in Passau und München • Abschluss als Dipl.-Ing. univ. • Buchveröffentlichungen (zuletzt: Paris-Architektur der Gegenwart, Prestel-Verlag) •1997 Kritikerpreis der Bundesarchitektenkammer • seit 1997 Redakteur am Feuilleton der Süddeutschen Zeitung in München • seit 2001 stellvertretender Feuilleton-Chef • lebt in München.